Wütende Aktionäre

Wer nicht Alleinaktionär ist, der kann auf Gedeih und Verderben den weiteren Grossaktionären ausgeliefert sein. Diese können in der Generalversammlung jedoch nicht alles beschliessen, was sie möchten, sondern sind weiterhin an das Gesetz gebunden. Werden jedoch gesetzliche Kontrollrechte beschränkt, zwingende Aktionärsrechte, Grundstrukturen der Aktiengesellschaft oder der Kapitalschutz verletzt wird sowie Generalversammlungen mit formellen Mängeln durchgeführt, so liegt eine Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen vor. Die Geltendmachung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen kann von jedermann und jederzeit, der ein Interesse hat, geltend gemacht werden. Die Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen kann inzident mittels Einwendung in einem beliebigen Verfahren vorgebracht, mit einer Feststellungsklage geltend gemacht oder von Amtes wegen festgestellt werden. Die Geltendmachung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen ist von der Anfechtungsklage abzugrenzen

Die Aktionäre üben ihr Stimmrecht nach Massgabe des Nennwerts ihrer Aktien aus (Art. 692 Abs. 1 OR). 

Die Geltendmachung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen kann von jedermann und jederzeit, der ein Interesse hat, geltend gemacht werden (BGE 137 III 465). Die Nichtigkeitsklage steht somit auch Gläubiger und Dritten offen, wobei diese Feststellungsklage ein schutzwürdiges Interesse voraussetzt (BGE 115 II 468).

Grundsatz

Bei der Annahme von Gründen der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen, ist Zurückhaltung angebracht, da die Nichtigkeit subsidiär zur Anfechtungsklage ist.

Zwingende Aktionärsrechte

Grundsatz

Der Entzug oder Beschränkung von gesetzlich zwingenden Aktionärsrechten ist bei rechtsetzenden Beschlüssen ein Anwendungsfall der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen (Art. 706b Ziff. 1 OR). Dazu zählen:

  • Mindeststimmrecht (Art. 692 Abs. 2 OR);
  • Teilnahme an der Generalversammlung (Art. 689 Abs. 1 OR);
  • Vertretungsrecht (Schweizerisches Aktienrecht, Forstmoser/Meyer-Hayoz/Nobel, 1996, § 25 N 94).
  • Klagerechte, 
  • sowie andere gesetzliche Aktionärsrechte

Intensität

Werden diese gesetzlichen Aktionärsrechte jedoch nur im Einzelfall verletzt und daher nicht systematisch (und nicht rechtsetzend), so liegt ein Anwendungsfall der Anfechtungsklage vor.

Möglichkeit

Die freie Stimmabgabe oder freie Beschlussfassung kann nicht statutarisch, sondern mittels Aktionärsbindungsvertrag eingegrenzt werden. 

Gesetzliche Kontrollrechte

Rechtsetzende Beschlüsse der Generalversammlung, welche die Kontrollrechte des Aktionärs einschränken, sind nichtig, sofern sie das gesetzlich zulässige Mass überschreiten (Art. 706b Ziff. 2 OR). Zu diesen Kontrollrechten zählen bspw.:

Grundstrukturen der AG

Werden die Grundstrukturen der Aktiengesellschaft verletzt (Art. 706b Ziff. 3 OR), d.h. wird systematisch gegen zwingendes Recht durch eigene Rechtsetzung verstossen, so führt dies zur Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen. Dazu zählen bspw (BSK OR II, Truffer/Dubs, 2011, Art. 706b N 15).:

  • einseitiges Recht auf Rückruf von Aktien durch den VR;
  • Einführung einer Nachsschusspflicht;
  • Einführung einer persönlichen Haftung des Aktionärs (Art. 680 Abs. 1 OR);
  • Ausgabe von nennwertlosen Aktien (Art. 622 Abs. 4 OR);
  • die Einführung von Zirkularbeschlüssen durch die Aktionäre;
  • Übertragung der Aufgaben der Generalversammlung an den Verwaltungsrat (Art. 698 Abs. 2 OR).

Kapitalschutz

Verletzungen von Bestimmungen des Kapitalschutzes sind auch dann nichtig, auch wenn sie nur im Einzelfall vorkommen. Die Anwendung der Anfechtungsklage entfällt daher in den Fällen der Verletzungen des Kapitalschutzes. Mit dem Kapitalschutz sind grundsätzlich alle Vorschriften zum Vermögensschutz gemeint, jedoch liegt bei den nicht spezifisch grundkapitalbezogenen Vorschriften nur dann ein Fall der Nichtigkeit vor, wenn mit der Verletzung tatsächlich das Grundkapital und die gesperrten gesetzlichen Reserven beeinträchtigt werden (Zürcher Kommentar, Homburger, Art. 714 N 398).

Formelle Mängel

Die gesetzlich genannten Nichtigkeitsgründe (Art. 706b OR) sind nicht abschliessender Natur und betreffen primär inhaltliche Mängel des Generalversammlungsbeschlusses. Schwerwiegende formelle Mängel können ebenfalls zu einer Nichtigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses führen. In der Rechtsprechung wurde für folgende Fälle ein formeller Mangel mit Nichtigkeitsfolge angenommen:

  • Beschlüsse, die trotz mangelnder Kenntnisnahme vom Stattfinden der Generalversammlung durch fehlerhafte Einberufung, gefällt wurden (OGer ZH, SAG 1969, 213);
  • Einzelne Aktionäre wussten aufgrund bewusster Nichteinladung nichts von der Generalversammlung (BGE 137 III 466 ff.);
  • Generalversammlung wurde von unzuständigem Organ einberufen (BGE 71 I 388);
  • Nichteinhaltung der gesetzlichen Mindesteinberufungsfrist von 20 Tagen (umstritten);
  • Komplettes Fehlen von Traktanden in der Einladung (anfechtbar: Beschluss war nicht oder unzureichend traktandiert);

Sind bei einer Universalversammlung nicht alle Aktien anwesend oder vertreten, so liegt lediglich keine Universalversammlung, sondern eine Generalversammlung vor, die u.U. nicht gehörig durchgeführt wurde, was zur Anfechtung der Beschlüsse führen kann (BSK OR II, Truffer/Dubs, 2011, Art. 706b N 18). 

Grundsatz

Die Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen kann

  • inzident mittels Einwendung in einem beliebigen Verfahren vorgebracht,
  • mit einer Feststellungsklage geltend gemacht,
  • oder von Amtes wegen festgestellt werden (BGE 100 II 384). 

Frist

Die Geltendmachung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen ist grundsätzlich an keine Frist gebunden. 

Heilung

Die Nichtigkeit ist grundsätzlich nicht heilbar, wobei das Gebot der Rechtssicherheit sowie der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten können, dass der Zeitablauf je nach der konkreten Situation selbst den Mankel der Nichtigkeit heilen kann (BGE 5C..143/2005, E. 2). 

Zuständigkeit

Örtliche Zuständigkeit

Bei der Nichtigkeitsklage handelt es sich um eine Klage gegen die Gesellschaft, weshalb die örtliche Zuständigkeit am Sitz der Gesellschaft gegeben ist (Art. 10 Abs. 1 lit. b ZPO).

Sachliche Zuständigkeit

Basierend auf der Höhe des Streitwerts wird es sich regelmässig um ein ordentliches Verfahren handeln (Art. 219 ff. ZPO), wobei es den Kantonen zusteht, die sachliche und funktionelle Zuständigkeit festzulegen (Art. 4 ZPO).

Kennt der entsprechende Kanton ein Handelsgericht (Art. 6 ZPO), wie dies bspw. Zürich hat, so kann die Nichtigkeitsklage unter Umständen auch vor dem Handelsgericht eingeklagt werden. Dazu muss es sich um eine handelsrechtliche Streitigkeit handeln, was bejaht wird, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist (zu bejahen), gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht offensteht (Streitwertschwelle von 30’000.-) und die Parteien im Schweizer Handelsregister (oder vergleichbares ausländisches Register) eingetragen sind (Art. 6 Abs. 2 ZPO). Dem Verfahren vor dem Handelsgericht geht kein Schlichtungsverfahren voraus (Art. 198 lit. f ZPO).

Sind die Kläger selber nicht im Handelsregister eingetragen, aber sind die anderen beiden Voraussetzungen erfüllt, so haben sie die Wahl zwischen dem Handelsgericht und dem ordentlichen Gericht (Art. 6 Abs. 3 ZPO). Bspw. der Kanton Zürich hat jedoch das Handelsgericht für ausschliesslich zuständig erklärt (Art. 44 GOG-ZH) für Streitigkeiten aus dem Recht der Handelsgesellschaften und Genossenschaften (Art. 6 Abs. 4 Ziff. b ZPO), sofern der Streitwert mindestens 30’000 Franken beträgt. Die Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen gilt als eine solche Streitigkeit.

Kosten

Die Kostenfolgen bei der Ablehnung der Nichtigkeitsklage verteilt der Richter nach freiem Ermessen (Art. 107 Abs. 1 lit. b ZPO). Er beurteilt dabei die Erfolgsaussichten bei Prozesseinleitung, Informationsstand des Klägers, vorprozessuales Verhalten der Gesellschaft, Ziel der Klage, Entscheidgründe, Beteiligungshöhe des Klägers, finanzielle Interessen und Verhältnisse des Klägers sowie das Prozessverhalten der Parteien (BGer 4A.43/2007).

Einspracheverfahren und vorsorgliche Massnahmen

Mittels registerrechtlicher Einsprache kann eine Handelsregistersperre erreicht werden (Art. 162 f. HRegV). Damit wird verhindert, dass ein Beschluss der Generalversammlung im Handelsregister eingetragen wird, bevor die Nichtigkeitsklage entschieden ist. Wird eine solche Einsprache erhoben, erfolgt kein Eintrag in das Tagesregister und der Einsprecher muss dem Handelsregisteramt innert 10 Tagen beweisen, dass er beim Gericht ein Gesuch um vorsorgliche Massnahmen gestellt hat.

Vergleich

Die Klage auf Nichtigkeit eines Generalversammlungsbeschlusses kann nicht mittels gerichtlichem oder aussergerichtlichem Vergleich erledigt werden, sondern bedarf eines Urteils (BGE 80 I 385). 

Anfechtungsklage

Die Anfechtungsklage ist während 2 Monaten nach der Generalversammlung durchführbar, während die Nichtigkeitsklage keine solche Frist kennt, sondern sich lediglich am abnehmenden Rechtsschutzinteresse durch Zuwarten orientiert (Art. 706b OR). Die Nichtigkeitsklage ist subsidiär zur Anfechtungsklage . Bei der Nichtigkeit gelten die Generalversammlungsbeschlüsse zudem als von Anfang an als nichtig und bei erfolgreicher Anfechtungsklage werden die Beschlüsse rückwirkend aufgehoben. Die Nichtigkeitsklage kann von jedem geltend gemacht werden, der ein Interesse daran hat (BGE 137 III 465). Die Anfechtungsklage kann nur von Aktionären und dem Verwaltungsrat angehoben werden.

Anfechtung von Verwaltungsratsbeschlüssen

Es gibt kein gesetzliches Recht zur Anfechtung von Verwaltungsratsbeschlüssen. Der Aktionär kann solche Beschlüsse nicht verhindern, aber den daraus resultierenden Schaden mittels Schadenersatzklage geltend machen (BGE 109 II 243 f.). 

Michaela ist Minderheitsaktionärin der Sesam AG. Ihre drei Geschwister sind die weiteren Aktionäre. Aufgrund eines familiären Zerwürfnisses beschliessen die drei anderen Aktionäre, die folgende Generalversammlung ohne Michaela durchzuführen. Bei dieser Generalversammlung wurde Michaela aus dem Verwaltungsrat abgewählt. Eine Woche später erfährt Michaela von der heimlichen Generalversammlung und erhebt eine Feststellungsklage auf Nichtigkeit des Generalversammlungsbeschlusses. Sie argumentiert, dass die bewusste Nichteinladung von ihr ein formeller Mangel darstellt, welche die Nichtigkeit der Generalversammlung zur Folge hat. Infolgedessen wird die Generalversammlung und somit die Beschlüsse für nichtig erklärt.

Die Geltendmachung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen kann von jedermann und jederzeit, der ein Interesse hat, geltend gemacht werden. Die Nichtigkeitsklage kann erhoben werden, wenn  gesetzliche Kontrollrechte beschränkt, zwingende Aktionärsrechte, Grundstrukturen der Aktiengesellschaft oder der Kapitalschutz verletzt wird sowie wenn formelle Mängel vorliegen. Die Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen kann inzident mittels Einwendung in einem beliebigen Verfahren vorgebracht, mit einer Feststellungsklage geltend gemacht oder von Amtes wegen festgestellt werden. Die Geltendmachung der Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen ist grundsätzlich an keine Frist gebunden. 

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