Annahme oder Ablehnung?
Im Falle der Ausschlagung durch einen testamentarisch eingesetzten gesetzlichen Erben gelangt dessen Anteil an die anderen gesetzlichen Erben der Erblasserin, wie wenn er den Erbfall nicht erlebt hätte (Art. 572 Abs. 1 ZGB). Im vorliegenden Fall wäre dies der Sohn, welcher jedoch von seiner Mutter übergangen wurde und daher einzig seinen Pflichtteil geltend machen kann. Die Basis der Pflichtteilberechnung ist jedoch nicht der effektiv vorhandene Nachlass (minus CHF 200‘000), sondern die sogenannte Pflichtteilsberechnungsmasse (PTBM). Zum effektiven Nachlass sind demnach noch bestimmte lebzeitige Zuwendungen der Erblasserin hinzuzurechnen (Art. 475 ZGB i.V.m. Art. 527 ZGB). Vorliegend die lebzeitige Schenkung der Liegenschaft an die beiden Töchter; denn obwohl sie vor mehr als 5 Jahren erfolgt ist, untersteht sie gemäss Art. 527 Ziff. 1 ZGB der Herabsetzung. Die Pflichtteilsberechnungsmasse beträgt im vorliegenden Fall somit CHF 1.2 Mio. (CHF 1.4 Mio. abzüglich Überschuldung CHF 200‘000) und der Pflichtteil des Sohnes (als einzigem Erben) beträgt ¾. Die beiden Schwestern müssen ihm somit je CHF 450‘000 herausgeben. Der Bruder hat somit am Schluss CHF 900‘000, die Schwestern je CHF 150‘000.
Hätten die beiden Schwestern die überschuldete Erbschaft (explizit) angenommen, wären sie deutlich besser davongekommen. Die Pflichtteilsberechnungsmasse hätte zwar ebenfalls CHF 1.2 Mio. betragen, der Pflichtteil des Bruders hätte sich jedoch nur auf ¼ belaufen (gesetzlicher Erbteil 1/3, Pflichtteil ¾ davon). Die Schwestern hätten ihm somit nur je CHF 150‘000 herausgeben müssen, womit sie je CHF 450‘000 hätten behalten können. Der Bruder hätte CHF 300‘000.
In jedem Erbfall können sich auch Geschehnisse auswirken, welche bereits viele Jahre zurückliegen und an die man sich bereits fast nicht mehr erinnern kann. Bevor der Entscheid gefällt wird, eine Erbschaft als (gesetzlicher oder eingesetzter) Erbe anzunehmen oder auszuschlagen, gilt es die tatsächliche und rechtliche Situation genau zu prüfen. Die Frist für die Annahme der Erbschaft bzw. deren Ausschlagung beträgt 3 Monate ab Kenntnis des Erbfalls bzw. der Verfügung (Art. 567 ZGB) oder ab Zustellung des Inventars (Art. 568 ZGB).
Die gesetzlichen Regeln über die Ausschlagung sind als „Wohltat“ für die Erben gedacht, welche ihnen die Möglichkeit gibt, eine ihr Vermögen belastende Erbschaft nicht antreten zu müssen. Auch die Vermutung der Ausschlagung eines überschuldeten Nachlasses (d.h. bei einer nachweislich überschuldeten Erbschaft) stellt eine solche Rechtswohltat dar. Das Zusammenspiel der Bestimmungen über die Ausschlagung ist jedoch komplex. Eine rechtliche Beratung in nicht alltäglichen Konstellationen ist in jedem Fall sinnvoll.
Die gesetzliche Vermutung der Ausschlagung für den Fall, dass eine amtlich festgestellte oder offensichtliche Zahlungsunfähigkeit der Erblasserin besteht, kann für die Erben in gewissen Konstellationen zu äusserst unangenehmen Konsequenzen führen. Wurde beispielsweises ein Erbvorbezug im Inventar nicht aufgeführt (oder nur als „pro memoria“ erwähnt, aber nicht eingerechnet), so tun die betreffenden Erben gegebenenfalls gut daran, die auf den ersten Blick „überschuldete“ Erbschaft explizit anzunehmen. Andernfalls könnte die infolge Ausschlagung veränderte Berechnung der Pflichtteile unangenehme Folgen zeitigen.
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