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Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 23 OR). Als wesentlicher Irrtum gelten die Erklärungsirrtümer gemäss Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1-3 OR sowie der Grundlagenirrtum. Der Grundlagenirrtum ist ein qualifizierter Motivirrtum (BGE 79 II 274).
Innerhalb oder ausserhalb des Vertrages
Der Grundlagenirrtum kann sich auf Umstände beziehen, die entweder innerhalb oder ausserhalb des Vertrages liegen (BGE 53 II 153). Zu den Umständen, die innerhalb des Vertrages liegen, gehören bspw. körperliche oder rechtliche Eigenschaften des Vertragsgegenstandes sowie Eigenschaften der Vertragsparteien (BSK OR I, Schwenzer, 2011, Art. 24 N 17). Der mit dem Vertrag verfolgte Zweck und ausserhalb des Vertrags liegende Risiken gehören zu den ausserhalb des Vertrags liegenden Umständen (BSK OR I, Schwenzer, 2011, Art. 24 N 17).
Vergangene Ereignisse
Der Grundlagenirrtum kann sich auf vergangene Sachverhalte beziehen (BSK OR I, Schwenzer, 2011, Art. 24 N 18).
Ereignisse zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
Der Grundlagenirrtum kann sich auf Sachverhalte beziehen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschluss vorlagen (BSK OR I, Schwenzer, 2011, Art. 24 N 18).
Zukünftige Ereignisse
Frühere Rechtsprechung
In seiner früheren Rechtsprechung hat das Bundesgericht die Berufung auf den Grundlagenirrtum für zukünftige Sachverhalte zugelassen, wenn sich der Irrtum auf einen bestimmten, voraussehbaren Sachverhalt bezogen hat (BGE 48 II 238 ff.).
Präzisierung durch Rechtsprechung
Später hat das Bundesgericht präzisiert, dass sich der Irrtum auf Tatsachen beziehen muss, deren Eintritt bei Abschluss des Vertrags von beiden Parteien als sicher angenommen wurde (BGE 109 II 110). Mit dem Grundlagenirrtum können hingegen nicht enttäuschte blosse Hoffnungen, übertriebene Erwartungen oder Spekulationen eingeklagt werden (BGE 118 II 300).
Relevante Umstände
Es können nur solche Umstände als relevant angesehen werden, die von beiden Parteien als notwendige Grundlage für den Vertrag angesehen wurden (oder nach Treu und Glauben angesehen werden mussten) und bei deren Fehlen der Vertrag gar nicht oder nicht in dieser Weise zustande gekommen wäre (Berner Kommentar, Kramer, Art. 18 N 307).
Abgrenzungen
Der Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte grenzt sich zur Bedingung (Art. 151 ff. OR), zur objektiven Unmöglichkeit der Leistung (Art. 119 OR), der Gefahrtragung des Käufers (Art. 185 OR) und der clausula rebus sic stantibus ab (BSK OR I, Schwenzer, 2011, Art. 24 N 18).
Damit ein Grundlagenirrtum vorliegt, muss subjektive Wesentlichkeit, objektive Wesentlichkeit und die Erkennbarkeit für den Erklärungsgegner gegeben sein.
Für diejenige Partei, die sich auf den Grundlagenirrtum beruft, muss der Sachverhalt, bezüglich dessen sie sich geirrt hat, eine notwendige Grundlage (conditio sine qua non) gewesen sein bei seiner Willensbildung (BGE 53 II 153). Sobald eine objektive Wesentlichkeit vorliegt, wird davon ausgegangen, dass auch eine subjektive Wesentlichkeit vorliegt (Der Grundlagenirrtum nach Art. 24 OR: Rechtsprechung des Bundesgerichts, 1978, Kolly, N 149).
Der zugrunde gelegte Sachverhalt muss vom Standpunkt des loyalen Geschäftsverkehrs eine notwendige Grundlage des Vertrags darstellen (BGE 56 II 426). Dies wird insbesondere dann bejaht, wenn der Wert der Vertragsleistungen vom vorgestellten Sachverhalt abhängt (Berner Kommentar, Schmidlin, Art. 23/24 N 466 ff.). Aus diesem Grund kann auch ein in der Zukunft liegender Sachverhalt objektiv wesentlich sein.
Die Bedeutung des durch den Irrenden sich irrtümlich vorgestellten Sachverhalts muss für den Vertragspartner erkennbar gewesen sein (BGE 55 II 189). Eine solche Erkennbarkeit kann sich aus der allgemeinen zentralen Bedeutung des Sachverhalts, den gemeinsamen Parteivorstellungen oder den besonderen Vertragsumständen ableiten (BSK OR I, Schwenzer, Art. 24 N 23). Kümmert sich daher eine Vertragspartei während den Verhandlungen nicht um eine Frage, die sich offensichtlich stellt, so darf die andere Vertragspartei daraus ableiten, dass diese Frage für die Gegenpartei nicht von Bedeutung sei (BGE 129 III 363).
Grundsatz
Das Bundesgericht durfte sich wiederholt zu bestimmten Falltypen äussern und eine Rechtsprechung entwickeln.
Zentrale Eigenschaft
Das Bundesgericht bejaht regelmässig das Vorliegen eines Grundlagenirrtums, wenn es um die zentrale Eigenschaft eines Vertragsgegenstandes geht. Die Kasuistik, bei der ein Grundlagenirrtum bejaht wurde, liest sich wie folgt:
- Echtheit eines Gemäldes (BGE 82 II 424 f.);
- Echtheit eines Perserteppichs (BGE 52 II 146 f.);
- Kauf eines geklauten Fahrzeugs (BGE 109 II 324 ff.);
- Grösse einer Mietwohnung (BGE 113 II 28 f.);
- Qualität des Baugrundes (BGE 87 II 137 ff.).
Eigenschaften des Vertragspartners
Kommt es wesentlich auf die Person des Vertragspartners an, so wird ein Grundlagenirrtum bei einem Irrtum über die Eigenschaften des Vertragspartners bejaht (Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, Bucher, 1988, 207 f.).
Spekulative Geschäften
Bei risikoreichen und spekulativen Geschäften wird das Vorliegen eines Grundlagenirrtums regelmässig abgelehnt (BSK OR I, Schwenzer, 2011, Art. 24 N 27).
Wert der gegenseitigen Leistungen
Wer sich über den Wert der gegenseitigen Leistungen irrt, der kann sich nicht auf den Grundlagenirrtum berufen (BGE 41 II 575).
Unverbindlichkeit
Die Rechtsfolge eines Grundlagenirrtums ist die Unverbindlichkeit des Vertrags. Das Bundesgericht folgt der Ungültigkeitstheorie (BGE 114 II 143), wonach der Vertrag von Anfang an ungültig ist und dementsprechend auch keine Wirkungen entfaltet, ausser das Rechtsgeschäfts wird nachträglich genehmigt (Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Gauch/Schluep/Schmid/Emmenegger, 2008, N 890). Der Anfechtungstheorie, wonach der Vertrag resolutiv bedingt gültig ist, und der Theorie der geteilten Ungültigkeit (suspensive Gültigkeit für den Irrenden sowie resolutive Gültigkeit für die Gegenpartei) wird nicht gefolgt.
Rückforderung
Gemäss der Ungültigkeitstheorie handelt es sich um eine Rückforderung wegen Nichtschuld (Anfechtungstheorie: nachträglich weggefallener Grund), die mittels Vindikation (Art. 641 Abs. 2 ZGB) oder ungerechtfertigter Bereicherung (Art. 62 OR) abgewickelt wird.
Verjährung
Die Möglichkeit der Berufung auf den Grundlagenirrtum verwirkt innert eines Jahres seit Kenntnis des Willensmangels (Art. 31 OR). Eine absolute Verjährungsfrist liegt nicht vor, da Art. 31 OR als Verwirkungsfrist zu qualifizieren ist (BGE 101 II 209). Basierend auf der Anfechtung des Vertrages resultiert ein Rückforderungsanspruch, welcher innert 10 Jahren seit der Leistung der Nichtschuld (absolute Verjährung, BGE 64 II 134 E. 2) bzw. innert 1 Jahr seit Kenntnis vom Grundlagenirrtum verjährt (Art. 67 Abs. 1 OR).
Teilnichtigkeit
Ausgehend vom mutmasslichen Parteiwillen ist bei einem Willensmangel, der nur einen Teil des Vertrags betrifft, nur dieser Teil nichtig, ausser es ist anzunehmen, dass der Vertrag ohne diesen Teil nicht geschlossen worden wäre (BGE 125 III 356). Dies geht jedoch nur, wenn der Vertrag subjektiv und objektiv teilbar ist, so dass der verbleibende Teil ein sinnvoller Vertrag bildet, welcher selbständig bestehen kann (BGE 130 III 56 E. 3.2). Auf diesem Weg der Reduktion kann bei einer Teilanfechtung eine Herabsetzung des Kaufpreises, d.h. eine Minderung, erreicht werden (BGE 107 II 425).
Beweislast
Die anfechtende Partei hat die Beweislast.
Der Käufer einer mangelhaften Sache kann entweder auf Gewährleistung (Art. 197 ff. OR) klagen oder den Vertrag wegen eines Willensmangels (Art. 23 f. OR) anfechten (BGE 114 II 131). Werden bei einer gekauften Sache die Mängelrechte geltend gemacht (Art. 197 OR), so liegt eine implizite Genehmigung des Kaufgegenstandes vor, weshalb eine nachträgliche Berufung auf einen Willensmangel ausgeschlossen ist.
Der Grundlagenirrtum ist ein qualifizierter Motivirrtum. Er bedarf der subjektiven und objektiven Wesentlichkeit, sowie der Erkennbarkeit der Bedeutung des vorgestellten Sachverhalts für die Gegenpartei. Bei Vorliegen eines Grundlagenirrtums liegt die Unverbindlichkeit des Vertrags vor, wobei das Bundesgericht die Ungültigkeitstheorie anwendet.
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