SVP-Zeitungsinserat «Kosovaren schlitzen Schweizer auf» (Quelle: udc.ch)

Das Messerstecherplakat oder Schlitzerplakat der SVP hat die Medien sensibilisiert und die Strafanzeige von drei Kosovaren hat die juristische Suppe zum Kochen gebracht. Soeben kam es in diesem Fall vor Berner Obergericht (zweitinstanzlich) zu einer Verurteilung der Urheber des Plakates. Wie in verschiedenen Artikeln analysiert (bspw. NZZ oder TA) wurde, kann man in der Sache geteilter Meinung sein. Während die eine Seite des politischen Spektrums im Messerstecherplakat eine legitime Herangehensweise sieht, um auf ein konkretes Problem aufmerksam zu machen, kritisiert es die Andere als rassistische menschenverachtende Polemik, weil es Leute einer gewissen Herkunft unter Generalverdacht stelle.

Zusätzliche Brisanz erhält der Fall aus juristischer Sicht dadurch, dass die weitaus meisten Richter einer Partei angehören und die Fallzuteilung von Gerichtsfällen in der Schweiz oftmals nicht dem Zufallsprinzip unterliegt, sondern durch den Gerichtspräsidenten oder den Präsidenten der zuständigen Abteilung und (teilweise) ohne konkreten Gerichtsverteilungsplan erfolgt. Die politische Gesinnung des zuständigen Richters kann für die Erfolgsaussichten in einem Fall von elementarer Bedeutung sein. Im Folgenden gehen wir deshalb den Fragen nach, wie die Fallzuteilung an die Richter in der Schweiz im Allgemeinen funktioniert und wie sie am Obergericht des Kantons Bern, das für den Fall des Messerstecherplakates zuständig war, vorgenommen wird, und was ein Betroffener tun kann, wenn er den «falschen» Richter erwischt

Wie beurteilt sich dieser Sachverhalt aus rechtlicher Sicht, was sind dabei insbesondere die Konsequenzen, Möglichkeiten oder Chancen für den interessierten Leser und zu welchem Schluss gelangt der Autor aus persönlicher Sicht? Erfahren Sie mehr!

Internationaler Standard

Die Fallzuteilung auf die Richter ist in der Schweiz juristisch wenig aufgearbeitet, ganz im Gegensatz zum Ausland. Die USA, Grossbritannien, Liechtenstein, Dänemark sowie andere Länder sehen bei Strafverfahren zwingend eine Fallzuteilung an die Richter durch das Los vor. Deutschland verlangt, dass mit Eingang der Strafklage der Richter nach einem Gerichtsverteilungsplan vordefiniert sein muss. Ist dies nicht der Fall, ist das ganze Strafverfahren nichtig. Dazu lohnt es sich, die internationalen Richterempfehlungen (sog. Report 2014) des ENCJ (European Network of the Councils for the Judiciary) zu konsultieren.

Der Report 2014 als internationales Richterstandardwerk proklamiert 11 Standards, darunter:

  1. Zuteilung der Gerichtsfälle konform zu Art. 6 EMRK
  2. Öffentliche Bekanntmachung der Zuteilungskriterien.
  3. Faire Zuteilung
  4. Etablierte Methode der Richterzuteilung
  5. Objektive Zuteilungsmethoden
  6. Berücksichtigung der Komplexität des Falles in der Zuteilung
  7. Reglementiertes Zulassungsverfahren
  8. Senioritätsprinzip
  9. Begründungspflicht der Richterzuteilung
  10. Begründung der Zusammensetzung des Spruchkörpers
  11. Information an die beteiligten Parteien über die richterliche Zusammensetzung

Die Fallzuteilung der Gerichtsfälle in Konformität zu Art. 6 EMRK bedeutet, dass ein unabhängiger, unbefangener und unparteiischer Richter ohne Einwirkung sachfremder Umstände dem Fall zugeteilt werden muss.

Fallzuteilung in der Schweiz

In der Schweiz hingegen erfolgt die Fallzuteilung von Gerichtsfällen auf die Richter an vielen Gerichten durch den Gerichtspräsidenten oder den Präsidenten der zuständigen Kammer und (teilweise) ohne konkreten Gerichtsverteilungsplan. Das geht von der illegalen Selbstzuteilung bis zum Richterstreit, wer einen Fall behandeln darf oder leidvoll muss. Protokolliert wird zur Fallzuteilung nichts und die Richterzuteilung geht als unzulässiges Geheimnis des Gerichts von statten. Selbstverständlich gibt es auch positive Beispiele wie der sogenannte Bandlimat (eingeführt von Christoph Bandli) am Bundesverwaltungsgericht, wo die grosse Mehrheit der Gerichtsfälle automatisiert durch eine Software an zugeteilt werden. Der Gerichtspräsident hat zwar auch dort noch die Möglichkeit einzugreifen, dies hinterlässt jedoch Spuren und ist damit später nachvollziehbar. Die NZZ hat sich hierzu vor ein paar Jahren geäussert.

Fallzuteilung im Fall des Messerstecherplakates (Obergericht Kanton Bern)

Die Fallzuteilung auf die Richter erfolgt im Kanton Bern gemäss Art. 44 des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft (GOGS) durch den Abteilungspräsidenten der Strafabteilung. Hier soll selbstverständlich niemandem eine bewusste Manipulation vorgeworfen werden. Der Fall des Messerstecherplakates zeigt aber, dass die praktisch freihändige Fallzuteilung durch einen einzelnen Richter problematisch sein kann, da der Fall zwar an ein Kollegialgericht in Dreierbesetzung (SP, BDP sowie SVP) erfolgte, der Fall jedoch stark politisch geprägt ist. Die unterlegene Partei erwägt im vorliegenden Fall auch den Schritt ans Bundesgericht (Quelle: Aargauer Zeitung).

Fazit

Die Vorgaben durch die EMRK und die Empfehlungen der ENCJ werden nicht von allen Gerichten in der Schweiz umgesetzt, weshalb die richterliche Fallzuteilung in der Schweiz juristisch oft fragwürdig und anfechtbar ist. Dies wird voraussichtlich allerdings kein Schweizer Gericht so beurteilen, dafür bedarf es des EGMR.   

Falls Sie je vor ein Gericht müssen, erkundigen Sie sich zuerst, wer Ihr Richter sein wird und aufgrund welchen Gesetzes, Verordnung oder Reglements dies der Fall ist. Erhalten Sie keine klare Antwort, so liegt der Schluss nahe, dass die Richterzuteilung EMRK-widrig und damit verfassungswidrig ist. Wenn Sie sich nicht dem Richterschicksal überlassen möchten, so fechten Sie die mangelhafte Richterzuteilung als Zwischenentscheid an. Dies geht über die zweite Instanz, das Bundesgericht und anschliessend an das EGMR. Parallel dazu läuft das materielle Verfahren.

Leider ist es so, dass die Richterzuordnung in der Schweiz ungenügend geregelt ist. Zudem nimmt kein Anwalt dieses Thema auf, da er mit dieser Fragestellung seinen Ruf bei den Richtern verliert. Weil zudem die Fallzuteilung keinem klar vorgegebenen formellen Verfahren folgt, erhält dieses Urteil einen fahlen Beigeschmack und es ist für mich deshalb nicht ein Justizurteil, sondern ein politisches Urteil. Aufgrund der undurchsichtigen Fallzuteilung und des Urteils von Richtern mit anderer Parteizugehörigkeit gegen die SVP hat das Ansehen der Justiz verloren. Der Fall Widmer-Schlumpf der Exekutive wiederholt sich in der Judikative. Aus meiner Sicht daher das Prädikat: «unbefriedigend»

Der Fall vom Messerstecherplakat der SVP wirft die Frage auf, ob es sich beim Entscheid um einen politischen oder juristischen Entscheid der Richter handelt. In der Schweiz werden die Richter einem Fall basierend auf einer undefinierten Gerichtspraxis zugewiesen, was somit gegen Art. 6 EMRK verstösst, welcher eine unabhängige Richterzuteilung vorschreibt. Dies bedeutet, dass solche Urteile somit verfassungswidrig sind.

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Unser Autor

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